Landtagsabgeordneter Ulf Prange spricht zur Eröffnung von Anne-Frank-Ausstellung in Oldenburg

Oldenburg. Anlässlich der Eröffnung der Anne-Frank-Ausstellung in Oldenburg am letzten Freitag hat der Oldenburger SPD-Landtagsabgeordnete Ulf Prange eine Rede gehalten.

Ulf Prange MdL (4. v. l.) bei der Eröffnung der Ausstellung "Deine Anne – Ein Mädchen schreibt Geschichte"
"Deine Anne – Ein Mädchen schreibt Geschichte" (Ausstellungsplakat)

Hier die Rede:

 

"Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass es gelungen ist, die Ausstellung „Deine Anne, ein Mädchen schreibt Geschichte“ nach Oldenburg zu holen. Mein Dank gilt den Verantwortlichen des Vereins Jugendkulturarbeit, der IGS Flötenteich, aber auch den Kooperationspartnern CineK und Fluchtmuseum, die an dem spannenden Rahmenprogramm beteiligt sind.

Unsere Gesellschaft ist im Wandel. Wir beobachten mit Sorge Entwicklungen, die viele von uns vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten hätten: das Erstarken des Rechtspopulismus in Europa, Kriege, Flucht, Terrorismus; aber auch die Entsolidarisierung unserer Gesellschaft, die Verrohung von Sprache, Hetze und einen bewusst verletzenden Umgang miteinander, insbesondere in den sozialen Netzwerken.

In diesen Zeiten sind Anne Frank und ihr Tagebuch vielleicht aktueller denn je.

"Wie herrlich ist es, dass niemand auch nur eine einzige Minute zu warten braucht, um damit zu beginnen, die Welt zu verändern."

Dieser Satz macht Mut und ist zugleich Ansporn, sich einzubringen und Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft entgegenzutreten, zeigt, dass auch der Einzelne etwas verändern kann.

Dieses Vermächtnis der Anne Frank greift die Ausstellung auf, denn es geht nicht nur um die Vermittlung historischen Wissens, sondern es werden zugleich Bezüge zur Gegenwart hergestellt. Die Ausstellung sensibilisiert und schafft ein Bewusstsein der eigenen Verantwortung.

Sie regt an, über das Verhältnis von Opfer und Täter, von Zuschauer und Helfer, von Gruppenzugehörigkeit und Ausgrenzung nachzudenken. Und sie fragt danach, was der Einzelne gesellschaftlich tun oder unterlassen kann.

Ich glaube, dass das Internationales Jugendprojektehaus der perfekte Standort für diese Ausstellung ist. Man könnte auch fragen: Wo sonst in Oldenburg sollte die Ausstellung stattfinden? Die Ausstellung rückt die Lebensgeschichte Anne Franks in den Blickpunkt und fördert damit zugleich die Auseinandersetzung mit Diskriminierung und der Bedeutung von Freiheit und Demokratie. Eine Auseinandersetzung die hier, an einem Ort, an dem junge Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern zusammenkommen, bereits gelebt wird.

Das Jugendprojektehaus ist ein großer Gewinn für Oldenburg. Ich freue mich daher, dass das Land Niedersachsen die Einrichtung über den Doppelhaushalt 2017/18 stärkt. Mit Landesmitteln von jährlich
60.000,00 € entsteht hier die Servicestelle Jugendkulturarbeit international der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung. Ferner wird das Projekt Theaterpädagogik im interkulturellen Dialog des hier beheimateten Landesverbandes Theaterpädagogik über den Doppelhaushalt mit 100.000,00 € jährlich gefördert.

Zurück zu Anne Frank und der Ausstellung. Die Ausstellung „Dein Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte“ wandert bereits seit 2012 durch ganz Deutschland, wurde bereits an vielen Standorten gezeigt. Endlich ist sie nun auch in Oldenburg angekommen.

Bei der Eröffnung und Erstpräsentation der Ausstellung im Bundestag hat Wolfgang Thierse folgendes gesagt:

„Historische Aufklärung soll und kann politisches Bewusstsein schaffen und das Geschehene in Erinnerung rufen. Dass sie auch zur Trauer um die Toten, zu Empathie mit den Opfern führt, dessen können wir uns nicht mehr so sicher sein. Gerade auch in der Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen darf nicht versäumt werden, das Entsetzliche so zu vermitteln, dass es auch mit dem Herzen erfahren und begriffen wird. Das Schicksal der nach Hitlers Machtergreifung nach Amsterdam emigrierten Familie Frank, das im Tagebuch der Anne Frank so eindringlich dokumentiert ist, macht genau dies möglich. Diese Geschichte lässt niemanden unberührt.“

Als Jugendlicher habe ich in der Schule zum ersten Mal von Anne Franks Tagebuch gehört. Wir haben einen Auszug im Unterricht gelesen, und ich wollte mehr über das Mädchen Anne Frank und ihre Geschichte erfahren. Meine Eltern haben mir dann eine schöne Ausgabe besorgt, die ich heute noch besitze. Die Tatsache, dass das Tagebuch aus der Perspektive eines jungen Mädchens erzählt wird, hat mir damals als Jugendlichen den Zugang erleichtert. Man ist in der Situation das eigene Leben zu vergleichen mit dem Schicksal der gleichaltrigen Anne Frank. Dadurch entsteht eine Nähe, denn sie schreibt vor dem Hintergrund der damaligen Verfolgung und Lebensumstände über Themen, die auch Jugendliche heute noch beschäftigen: die eigene Entwicklung und die Welt, die sie umgibt.

Auch die Ausstellung, die wir hier heute eröffnen, nimmt vor allem junge Menschen in den Blick, aber mit der Besonderheit, dass hier die Möglichkeit besteht, nicht lediglich etwas zu erfahren über Anne Frank und ihr Leben, sondern darüber hinaus schlüpfen die Schülerinnen und Schüler in die Rolle von Ausstellungsbegleiterinnen und -begleitern. Das Konzept „Jugendliche begleiten Jugendliche“ begeistert.

Die beteiligten Jugendlichen erfahren etwas über die Inhalte und die Hintergründe der Ausstellung. Darüber hinaus wird ihnen das Rüstzeug vermittelt, um die Thematik anderen Jugendlichen und Besuchern zu vermitteln. Fähigkeiten, von denen sie dauerhaft profitieren.

Dass dieses Konzept bei den Schülerinnen und Schülern ankommt, konnte man der gestrigen Berichterstattung der NWZ entnehmen. Dort kommt die Schülerin Paula Kruse zu Wort und wird wie folgt zitiert: „Wir haben verschiedene Methoden gelernt, wie man durch die Ausstellung führen kann. Wir können zum Beispiel die Interessenten zunächst alleine das Material anschauen lassen, anschließend werden dann hauptsächlich die Aspekte besprochen, die ihnen dabei auffielen. Im Workshop wurden auch verschiedene Szenarien durchgespielt, wie einzelne Gruppen und Schulklassen reagieren und welche Fragen aufkommen können. Wir haben keine Vorschriften, was wir sagen müssen. Somit ist jede Führung individuell, da jeder Schüler die Schwerpunkte anders legen kann.“

Paulas Lieblingsaspekt der Veranstaltung sei die Verbindung zur heutigen Situation. Das Thema ist: „Wer bin ich, was hat das mit mir zu tun und was kann man gegen Diskriminierung tun?“ „Da wird auf Schubladendenken eingegangen“, berichtet sie, „vielleicht ändert dieser Teil etwas in der Weltanschauung der Menschen.“

Politische Bildung bzw. die Anforderungen an politische Bildung haben sich geändert, denn unsere Erinnerungskultur befindet sich im Wandel und darauf muss politische Bildungsarbeit, müssen Ausbildungsmacher reagieren. Ich glaube, dass das hier verfolgte Konzept „Jugendliche begleiten Jugendliche“ genau richtig ist, um junge Menschen zu begeistern und mitzunehmen.

Auch im Land haben wir uns auf den Weg gemacht, die Akteure der politischen Bildung stärker zu unterstützen. 2016 wurde die Errichtung einer neuen Landeszentrale für politische Bildung auf den Weg gebracht. Ich habe mich sehr gefreut, dass alle im Landtag vertretenen Fraktionen, auch CDU und FDP, die die Landeszentrale vor einigen Jahren abgeschafft hatten, dem Vorhaben zugestimmt haben. Der Erkenntnis, dass Beteiligung nur mit Information gelingt und politische Bildung daher die zentrale Grundlage demokratischen Handelns ist, kann man sich in der heutigen Zeit wohl kaum verschließen.

Es wird eine Landeszentrale neuen Typs aufgebaut, die sowohl vorhandene Angebote koordiniert, als auch neue Wege für Information und Beteiligung entwickelt. Sie soll Angebote der politischen Bildung in Niedersachsen koordinieren und Akteure vernetzen, Bürgerinnen und Bürgern – insbesondere auch Jugendlichen und jungen Erwachsenen – Zugänge zu politischen Informationen ermöglichen sowie der Bildungsarbeit in diesem Bereich einen neuen Schub verleihen. Dazu gehört beispielsweise die Entwicklung neuer Formate und Methoden im Bereich digitaler Medien und Netzwerke.

Für ihre Organisation und Arbeit steht der Landeszentrale ein jährliches Budget von knapp einer Million Euro zur Verfügung. Insgesamt fördert das Land Niedersachsen die politische Bildung mit rund zehn Millionen Euro im Jahr.

Ich bin gespannt auf die Ausstellung, insbesondere auf die Führung durch die jungen Ausstellungsbegleiterinnen. Ich schließe meine Ausführungen mit einem Zitat von Anne Frank: „Solange es das noch gibt, diesen wolkenlosen blauen Himmel, darf ich nicht traurig sein.“ schrieb sie einst in ihr Tagebuch und hat damit vielen Menschen Mut gemacht.

Vielen Dank!"