Rede im Landtag zu „Niedersachsen, macht mit!“ – Digitaler Atlas Soziokultur

Rede des Sprechers für Kulturpolitik Ulf Prange, MdL zu TOP Nr. 23 Abschließende Beratung „Niedersachsen, macht mit!“ – Digitaler Atlas Soziokultur Antrag der Fraktion der FDP – Drs. 17/6400 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur – Drs. 17/7413 während der Plenarsitzung vom 02.03.2017 im Niedersächsischen Landtag

Die Redebeiträge in Bild und Ton finden Sie unter: landtag-niedersachsen-tv.im-en.com/

Es gilt das gesprochene Wort.

Anrede,

„Kulturatlas 2. Anlauf“ könnte auch über Ihrem Antrag stehen, liebe Kollegen*innen von der FDP. Bereits vor einigen Monaten haben wir an dieser Stelle über Ihren Antrag Digitaler Kulturatlas debattiert. Nun soll es ein Atlas für die Soziokultur sein. Als ich den Antrag gesehen habe, habe ich gedacht, da will jemand mit dem Kopf durch die Wand.

Es wird Sie nicht überraschen, dass wir uns für Ihren Antrag nicht begeistern können. Das vorgeschlagene Instrument des Kulturatlas halten wir für wenig zielführend. Man könnte auch sagen: Sie fordern einen Kulturatlas und machen damit deutlich, dass Ihnen der Kompass für Kulturpolitik fehlt.

Die Debatte über die Sinnhaftigkeit eines zentral geführten Kulturatlas – also über ein Internetportal – haben wir bereits im letzten Jahr geführt. Die Argumente nochmal in aller Kürze:

Sie suggerieren Modernität über Begrifflichkeiten, statt sich mit den Herausforderungen der Digitalisierung inhaltlich ernsthaft auseinanderzusetzen.

Ein umfassendes, zentral gesteuertes Internetportal, wie Sie es vorschlagen, ist nicht mehr zeitgemäß, ist kalter Kaffee. Die Pflege ist im Übrigen teuer und aufwändig. Gerade kleine, ehrenamtlich geführte Einrichtungen sind gar nicht in der Lage, die Daten tagesaktuell einzuspeisen. Große Einrichtungen verfügen in der Regel bereits über gute Internetauftritte. Schließlich ist es im Sinne der Nutzer kultureller Angebote sinnvoller, eine Verknüpfung mit vor Ort bereits vorhandenen Internetplattformen, bspw. im Tourismusbereich, vorzunehmen. Ihr Vorschlag entspricht auch nicht den Suchgewohnheiten der Nutzer über Suchmaschinen etc. Durch Ihren Vorschlag würden wir Doppelstrukturen schaffen und staatlich finanzieren. Das wollen wir nicht. Wir sehen auch keinen Bedarf für eine solche Datenwüste.

In Ihrem Antrag stellen Sie neben soziokulturellen Angeboten ab auf Programme des internationalen Austausches, auf internationale Begegnungen in der Kultur. Im Ausschuss haben Sie insoweit Bezug genommen auf eine Veranstaltung im Jugendprojektehaus Weiße Rose in Oldenburg. Eingeladen hatte die LKJ. Auf dem Podium waren alle hier im Haus vertretenen Fraktionen vertreten. Wir waren uns einig, die Forderung der LKJ zu unterstützen, Projekte des internationalen Austausches besser sichtbar zu machen. Seitens der LKJ gab es auch einen konkreten Vorschlag, nämlich am Standort in Oldenburg, wo es einen Erfahrungsschatz und viel Expertise gibt, ein Servicebüro einzurichten.

Dieses Servicebüro haben die Regierungsfraktionen mit dem Doppelhaushalt auf den Weg gebracht. Ich freue mich, dass es Volker Bajus und mir gelungen ist, unsere Fraktionen für dieses Projekt zu begeistern. Insgesamt stehen 120.000 Euro für das Servicebüro zur Verfügung. Ich finde es schade, dass Sie das Projekt trotz anderslautender Zusagen gegenüber den Akteuren nicht unterstützt haben. Darauf hatte ich bereits im Rahmen der Haushaltsberatungen hingewiesen.

Mit dem Projekt KuBi International und dessen Umsetzung ist der Punkt internationaler Austausch in Ihrem Antrag erledigt. Die Akteure bauen die Servicestelle auf, werden in diesem Zusammenhang auch einen Internetauftritt entwickeln.

Nun zu dem zweiten Aspekt in Ihrem Antrag, dem zentralen Internetauftritt für Soziokultur.

Gestatten Sie mir zunächst einmal, die besondere Bedeutung der Soziokultur für Niedersachsen hervorzuheben. Die Soziokultur ist nicht nur ein wichtiger Impuls- und Ideengeber für Kultur und Gesellschaft, sondern sorgt für eine vielfältige Kulturszene und stellt im Flächenland Niedersachsen in einigen Landesteilen sicher, dass es überhaupt kulturelle Angebote gibt. Soziokultur in Niedersachsen ist eine Erfolgsgeschichte. Erstmal eine kurze Bestandsaufnahme:
Wir haben 100 soziokulturelle Zentren mit 13.000 Veranstaltungen und circa 1,3 Millionen Besuchern (2014). Das Land stellt für Soziokultur über 2 Millionen Euro zur Verfügung. 500.000 Euro für investive Maßnahmen, wir haben über die politische Liste um 250.000 Euro jährlich in 2017/18 erhöht.

Für das neue Förderprogramm „Neue künstlerische Formate in der Soziokultur“ stehen ebenfalls 500.000 Euro zur Verfügung. Nicht verwendete Mittel fließen in den Investitionstopf zurück.

Der Landesverband wurde bislang mit 365.000 Euro gefördert. Ab 2018 greift die mit dem Haushalt beschlossene Tariferhöhung bei den Kulturverbänden von 15 Prozent. Das sind weitere knapp 55.000 Euro für die LAGS.

Für die Projekt- und Strukturförderung stehen jährlich weitere ca. 650.000 Euro zur Verfügung.

Das ist viel Geld. Aber die Gegenleistung, die das Land und vor allem unsere Bürger*innen erhalten, stimmt, ist ihr Geld wert.

Die Landesarbeitsgemeinschaft für Soziokultur (LAGS) verfügt – genauso wie die ganz überwiegende Zahl der soziokulturellen Einrichtungen – über einen Internetauftritt. Auch wenn es im Sinne einer noch besseren Sichtbarmachung von Soziokultur Bedarf für Verbesserungen gibt, warne ich davor, dass Rad neu zu erfinden und viel Geld für einen Kulturatlas in die Hand zu nehmen.

Die Fachebene hat im Rahmen der Unterrichtung nochmal eindringlich darauf hingewiesen, dass es schwierig, d. h. eigentlich fast unmöglich ist, ein Portal zu schaffen, auf dem alle Veranstaltungen usw. präsentiert werden, eben weil ein großer Teil der Träger ehrenamtlich arbeitet und nicht die Ressourcen hat für die erforderliche Zuarbeit. Wichtiger sei es, die Frage in den Blick zu nehmen, wie Soziokultur mit dem digitalen Wandel umgeht bzw. sich dafür aufstellt.

Die Anhörung hat ähnlich Hinweise gegeben. Der Vorschlag der FDP wurde sehr zurückhaltend aufgenommen. Aus Hessen wurde über schlechte Erfahrungen mit einem solchen Portal berichtet.
Als Best-Practice-Beispiel wurde uns das „Netzwerk Kultur & Heimat Hildesheimer Land“, das im Netz unter Kulturium.de firmiert, vorgestellt. Gemeinsam mit anderen örtlichen Akteuren wurde eine regionale Plattform geschaffen, die gut funktioniert.

Ferner ging es um die Frage „Wie geht Internet heute?“ Ihr Vorschlag eines Kulturatlas passt eher ins letzte Jahrhundert. Heute gibt es ganz andere Möglichkeiten. Gerade, wenn man junge Menschen erreichen will, muss man heute andere Wege gehen. Seitens der LAGS wurde das Beispiel einer Crossmedia-Plattform genannt. Soziokulturelle Einrichtungen könnten dort in Form von Videoporträts präsentiert werden.
Die Kosten für ein solches Projekt belaufen sich auf 300.000 Euro einmalig zzgl. 100.000 Euro jährlich für den laufenden Betrieb. Dieses Vorhaben hat bei den Akteuren der Soziokultur aber nicht die höchste Priorität.

Wir haben im Rahmen der Anhörung nach Prioritäten gefragt: 1. Priorität: Personelle Verstärkung, insb. im Bereich Beratung stärken; 2. Priorität: Verstärkung für Modellprojekte wie „Spielplatz Niedersachsen“ für Kinder- und Jugendtheater. Erst an dritter Stelle käme die Internetpräsenz.

Mit dem Haushalt haben wir versucht, die genannten Prioritäten zu berücksichtigen. Die institutionelle Förderung haben wir erhöht, haben weitere Investitionsmittel zur Verfügung gestellt. Darauf hatte ich bereits hingewiesen.

Wichtig finde ich, dass wir das Thema Digitalisierung in der Kultur nicht auf Internetpräsenz reduzieren. Es geht doch um vielmehr, nämlich darum, Freiräume für Kultur im Internet zu schaffen und so neue Formate zu ermöglichen. Dabei geht es meiner Meinung nach auch darum, dass sich Kultur mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen auseinandersetzt, beispielsweise mit Hate-Speech im Internet, mit Rechtspopulismus und anderen Entwicklungen.

Ich hatte bereits das Förderprogramm des MKW „Neue künstlerische Formate in der Soziokultur“ genannt, das seit 2016 am Start ist. In der Anhörung wurde das Projekt „Pavillon Prison Break“ vom Pavillon hier in Hannover genannt, das über die Kulisse gefördert wird. Auf dem Gelände des Pavillons stand früher ein Gefängnis. Daran knüpft das Projekt an, trägt gleichzeitig zur politischen Bildung und zur Vermittlung von Geschichte bei.
Die Teilnehmer können in der Geschichte recherchieren oder sich in der Gegenwart aufhalten, können in der Umgebung des Pavillons ähnlich wie bei „Pokémon Go“ online spielen. Das sind spannende Formen von Digitalisierung in Kunst und Kultur.

Ihr Vorschlag wirkt dagegen mit Verlaub doch recht altbacken.

Wir verfolgen einen anderen Ansatz: Regional bereits vorhandene Onlineangebote müssen kontinuierlich gestärkt und besser vernetzt werden.

Mit dem neuen Förderprogramm bieten wir der Soziokultur die Möglichkeit, verstärkt die Potentiale der Digitalisierung zu nutzen und neue Zielgruppen anzusprechen.

Mit dem Doppelhaushalt haben wir die richtigen Signale gesetzt und die Soziokultur bei Personal und Investitionen nachhaltig gestärkt.