TOP 16 und 17 des Plenums
1. Beratung: Aufnahme der sexuellen Identität ins Grundgesetz
Es gilt das gesprochene Wort:
„Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Die Erweiterung des Gleichheitsartikels um das Diskriminierungsverbotes wegen sexueller Identität wird im Bund und den Ländern seit den 90er Jahren diskutiert.
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ steht in Art. 3 des Grundgesetzes.
Dies war den Müttern und Vätern unseres Grundgesetzes, die unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft und Verfolgungspolitik standen, so wichtig, dass sie die Menschen, die vom Nazi-Regime verfolgt wurden, im Grundgesetz besonders hervorgehoben haben. Die Aufstellung war bzw. ist nicht vollständig. Zwei von den Nationalsozialisten verfolgte Gruppen wurden nicht in den Gleichbehandlungskatalog aufgenommen: Menschen mit Behinderungen und Homosexuelle.
Menschen mit Behinderungen wurden im Rahmen der Verfassungsreform nach der deutschen Einheit 1994 endlich aufgenommen. Für eine Aufnahme von Homosexuellen in den Gleichbehandlungskatalog fand sich bis heute keine verfassungsändernde Mehrheit. Vielmehr wurde diese Gruppe aufgrund von § 175 StGB auch in der Bundesrepublik noch lange strafrechtlich verfolgt. Erst vor 25 Jahren wurde die Vorschrift endgültig abgeschafft.
Man kann darüber streiten, ob nicht schon die bestehenden Regelungen hinreichenden Schutz vor Diskriminierung bieten.
Zum einen schützt der allgemeine Gleichheitssatz alle Menschen vor Diskriminierung. Das Merkmal Geschlecht im Gleichbehandlungskatalog umfasst nach der Rechtsprechung des BVerfG auch die geschlechtliche Identität und damit die Rechte von trans- und intergeschlechtlichen Menschen.
Überhaupt hat das BVerfG in den letzten Jahrzehnten die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI) gestärkt.
Im Urteil von 2002 zum Lebenspartnerschaftsgesetz und in den darauf folgenden Entscheidungen zu einzelnen Rechtsfragen der Lebenspartnerschaft hat das Bundesverfassungsgericht das Recht von Lesben und Schwulen auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) sowie freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) betont, hat ferner festgestellt, dass gleichgeschlechtliche Familien unter den grundgesetzlichen Schutz von Art. 6 GG fallen. Das BVerfG hat ein Verständnis herausgebildet, dass die sexuelle Identität im Wesentlichen den Persönlichkeitsmerkmalen des speziellen Gleichheitssatzes gleichstellt. 2017 hat das BVerfG schließlich mit der Entscheidung zur „dritten Option“ das verfassungsrechtliche Verständnis vom Merkmal Geschlecht erweitert.
Dies ist ein großer Fortschritt. Richtig ist aber auch, dass Karlsruhe immer wieder korrigierend gegenüber diskriminierendem staatlichem Handeln eingreifen musste.
Auch mit der Gesetzgebung der letzten Jahre wurde wichtige Schritte zu mehr Gleichbehandlung gemacht. Zu nennen wären das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität ausdrücklich verbietet und zuletzt die nach jahrelanger Diskussion 2017 beschlossene Ehe für Alle und die Anerkennung des dritten Geschlechts im Personenstandsrecht.
Klar ist aber auch, dass es einen Unterschied macht, ob Rechte in der Verfassung festgeschrieben sind, oder ob sie nur in einfachen Gesetzen geregelt sind.
Die Verfassung bietet einen stärkeren Schutz. Die Aufnahme in die Verfassung hat daneben eine nicht zu unterschätzende Signalwirkung, denn die Verfassung legt die Grundwerte unseres gemeinsamen Zusammenlebens fest. Schließlich würde so ein Hebel dafür geschaffen, mehr Gleichstellung auf gesetzlicher Ebene voranzutreiben.
Die SPD-Fraktion hat sich zu der Frage immer klar positioniert. Bereits 2012 haben wir gemeinsam mit den Grünen in diesem Haus die Aufnahme des Merkmals „sexuelle Identität“ in die Landesverfassung gefordert. Die Initiative ist seinerzeit an der schwarz-gelben Regierungskoalition gescheitert. In der letzten Legislaturperiode gab es einen weiteren Vorstoß von SPD, Grünen und FDP. Leider wurde die erforderliche verfassungsändernde Mehrheit nicht erreicht.
Bislang ist die überfällige Änderung bzw. Erweiterung unserer Verfassungen – in Niedersachen und im Bund – am erforderlichen Quorum für eine Verfassungsänderung gescheitert. Ich habe die Hoffnung und die Erwartung, dass die CDU ihre bislang vertretene Auffassung überdenkt und der gesellschaftlichen Realität in unserem Land anpasst.
In Oldenburg findet im nächsten Jahr der 25. CSD statt, ein Fest für Toleranz und Vielfalt, an dem sich viele Organisationen, Initiativen und Gruppen beteiligen und das mit 12.000 Teilnehmenden in diesem Jahr einer der größten CSDs in Deutschland ist. Alle demokratischen Parteien beteiligen sich in Oldenburg an der Parade, der Kundgebung und an dem sich anschließenden Fest. Auch die CDU vor Ort ist seit einigen Jahren dabei. Dies verbinde ich mit der Hoffnung und Erwartung, dass sich etwas verändert und die CDU auch hier im Landtag zu einer konsequenten Haltung findet.
Anlässlich „70 Jahre Grundgesetz“ in diesem Jahr hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Umfrage zur Erweiterung des verfassungsrechtlichen Diskriminierungs-verbotes durchführen lassen. Eine Mehrheit der Bevölkerung hat sich für eine Aufnahme der Merkmale sexuelle und geschlechtliche Identität ins Grundgesetz ausgesprochen.
Der Formulierungsvorschlag der Antidiskriminierungsstelle geht über den Antrag der FDP hinaus, bietet mehr Klarheit und Schutz, indem er das erweiterte verfassungsrechtliche Verständnis des BVerfG vom Merkmal Geschlecht absichert. Mit dieser Frage sollten wir uns im Ausschuss intensiver beschäftigen.
Einen ähnlichen Vorschlag haben 2018 die Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Thüringen mit einer Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht mit dem Antrag, das den Gleichheitssatz im Grundgesetz um das Merkmal der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität zu ergänzen.
Ferner empfiehlt die Antidiskriminierungsstelle die Aufnahme des Merkmals Lebensalter in die Verfassung. Geprüft werden sollte überdies, ob der Begriff „Rasse“ durch „rassistisch“ ersetzt werden kann, da durch die Verwendung des Begriffs selbst rassistische Vorstellungen fortgeschrieben werden. Mit dem Merkmal Rasse haben wir uns bereits in der letzten Legislatur beschäftigt. Beide Punkte – Lebensalter und Rasse – sollten wir in den Ausschussberatungen aufgreifen.
Das Ergebnis der vorgenannten Umfrage ist erfreulich, zeigt, dass sich unsere Gesellschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten hin zu mehr Toleranz und Vielfalt verändert hat. Leider gibt es in unserer Gesellschaft auch andere Tendenzen und Entwicklungen, insbesondere in den sozialen Netzwerken, aber auch an Stammtischen und auf Fußballplätzen ist Homophobie noch weit verbreitet. Aber nicht nur da!
Einen Blick auf Alltagshomophobie in unserer Gesellschaft gibt Johannes Kram in seinem Buch „Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber… Die schreckliche nette Homophobie in der Mitte der Gesellschaft“, mit dem er unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält.
Gerade in einer Zeit, in der Hass und Hetze wieder zunehmen, braucht es ein klares Bekenntnis zu Vielfalt und Toleranz – das Diskriminierungsverbot muss in der Verfassung für alle Menschen in unserem Land transparent und sichtbar sein – und wir brauchen eine klare verfassungsrechtliche Absicherung, dass Ausgrenzung, Unterdrückung und Verfolgung in Deutschland nie wiederkehren können.“