Aktuelle Stunde während des Plenums – für eine Regelabfrage bei Einstellungen in die Justiz

Es gilt das gesprochene Wort.

TOP 4a des Februar-Plenums: Kein Platz für Extremisten im öffentlichen Dienst – für eine Regelabfrage bei Einstellungen in den Justizdienst

„Anrede!

Wir müssen feststellen, dass sich unsere Gesellschaft insgesamt verändert. Wir nehmen eine Radikalisierung und eine Zunahme von extremistischen Tendenzen wahr, einhergehend mit einem Erstarken von verfassungsfeindlichen Einstellungen in unserer Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie man äußerst sensible Bereiche wie die Justiz von Menschen mit verfassungsfeindlichen und extremistischen Einstellungen freihalten kann.

Ich stimme Ihnen zu: Verfassungstreue ist eine unerlässliche Voraussetzung für eine Tätigkeit im höheren Justizdienst. Gerade RichterInnen und StaatsanwältInnen obliegt eine besondere Treuepflicht. Sie müssen auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen und diese im Sinne einer wehrhaften Demokratie verteidigen.

Wir haben eine unabhängige Justiz, die in besonderem Maße das Vertrauen der Menschen in unserem Land genießt. Die Beschäftigten in der Justiz tragen – trotz hoher Belastung – tagtäglich dazu bei, dass die Rechte der Menschen in unserem Land gewahrt werden. Ich habe keine Zweifel daran, dass der ganz überwiegende Teil der Beschäftigten in der niedersächsischen Justiz verfassungstreu ist, möchte die Gelegenheit nutzen, mich an dieser Stelle bei allen Justizangehörigen für ihre Einsatz und ihre Arbeit zu bedanken.

In den letzten Jahren haben wir intensiv daran gearbeitet, unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften personell zu stärken und besser auszustatten. Diesen Weg müssen wir konsequent fortsetzen, denn nur eine gut aufgestellte Justiz sichert eine hohe Qualität der Entscheidungen, einen effektiven Zugang zum Recht und letztlich das Vertrauen der BürgerInnen in unseren Rechtsstaat.

Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass es in Deutschland in den letzten Jahren Fälle gegeben hat, in denen RichterInnen und StaatsanwältInnen durch Äußerungen aufgefallen sind, die sich nicht mit der Ihnen obliegenden Verfassungstreue und dem richterlichen Mäßigungsgebot in Einklang bringen lassen.

In der Debatte wurde u.a. auf den ehemaligen sächsischen AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier abgestellt. Maier, der vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft wird und früher als Richter am Landgericht Dresden tätig war, will nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag wieder in die Justiz zurückkehren.

Aber hilft hier die Regelabfrage beim Verfassungsschutz?

RichterInnen und StaatsanwältInnen haben grundsätzlich ein Rückkehrrecht in den Justizdienst. Hier geht es nicht um die Frage der Einstellung, sondern um disziplinarrechtliche Fragen in einem bestehenden bzw. ruhenden Dienstverhältnis. In diesen Fällen ist das verfassungsfeindliche und extremistische Gedankengut angesichts von öffentlich getätigten Äußerungen bekannt. Die Regelabfrage würde hier vermeintlich nicht helfen, denn in diesen Konstellationen gibt es in der Regel kein Erkenntnisdefizit, sondern es bestehen Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Disziplinarrechts. Für die Gewinnung weiterer Erkenntnisse bestünde in solchen Fällen im Übrigen die Möglichkeit, anlassbezogen beim Verfassungsschutz anzufragen.

Es ist richtig: Bei im Dienst „enttarnten“ Beschäftigten muss gehandelt werden und dies so schnell wie möglich. Hier braucht es ein konsequentes Handeln. Die Regelabfrage ist für diese Fälle das falsche Instrument, hilft hier nicht weiter.

Die Regelabfrage beim Verfassungsschutz ist kein Allheilmittel. Man kann bereits darüber streiten, ob das Mittel geeignet ist, um zu klären, ob ein Bewerber verfassungstreu ist. Letztlich handelt es sich bei den Erkenntnissen des Verfassungsschutz um eine Momentaufnahme. Ob sich daraus immer Rückschlüsse auf die weitere Persönlichkeitsentwicklung von Bewerbern ziehen lassen, ist jedenfalls fraglich. Im Übrigen wird gegen die Regelabfrage eingewandt, dass die Erkenntnisgewinnung durch den Verfassungsschutz nicht hinreichend transparent ist.

Für so eine tiefgreifenden Entscheidung braucht es belastbare Zahlen, braucht es eine fundierte Entscheidungsgrundlage. Sind in den letzten Jahren tatsächlich vermehrt BewerberInnen mit extremistischen Tendenzen in den Justizdienst eingestellt worden?

Eine im September 2020 vom Richterbund veröffentlichte Umfrage bei den Justizverwaltungen der Länder hat dies jedenfalls nicht betätigt. Danach hat es etwa in Bayern, das die Regelabfrage bereits 2016 eingeführt hat, keine „Treffer“ gegeben.

Schließlich wäre zu klären, ob der mit der Regelanfrage verbundene Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Die Regelanfrage greift in das Grundrecht der Berufswahlfreiheit und in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Im Rahmen der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung stellt sich insbesondere die Frage, ob es mildere Mittel zur Zweckerreichung gibt.

Nach meiner Überzeugung haben wir ein Einstellungsverfahren, dass sich im Grunde bewährt hat.

Das Verfahren ist in den meisten Bundesländern ähnlich. Vor der Einstellung als Proberichter – die Vorstufe zum Amt als Richter oder Staatsanwalt auf Lebenszeit – wird ein Führungszeugnis eingeholt. Zudem müssen die Bewerber ihre Verfassungstreue schriftlich bestätigen. Im strukturierten Einstellungsgespräch, das in Niedersachsen von einer dreiköpfigen Kommission geführt wird, entsteht ein umfassender Eindruck vom Bewerber. Gerade dem persönlichen Eindruck im Auswahlgespräch kommt eine große Bedeutung zu. Sollten Zweifel an der Verfassungstreue eines Bewerbers aufkommen, wäre ergänzend auch eine einzelfallbezogene Anfrage beim Verfassungsschutz möglich.

Bevor eine Regelabfrage eingeführt wird, sollte das bestehende Auswahlverfahren in den Blick genommen und soweit erforderlich bei den Standards für die Auswahlgespräche nachgesteuert werden.

Im höheren Justizdienst besteht ferner die Besonderheit, dass es Erkenntnisse aus dem Vorbereitungsdienst gibt, die berücksichtigt werden können und dass es während der Probezeit vereinfachte Möglichkeiten der Entlassung gibt. Schließlich unterliegt die Arbeit von RichterIinnen und StaatsanwältInnen in besonderem Maße einer Kontrolle durch Rechtsbehelfe, Medien und die Öffentlichkeit.

Ich will hier auch die schlechten Erfahrungen ansprechen, die Deutschland mit dem Radikalenerlass gemacht hat und daran erinnern, dass wir 2016 eine Kommission „zur Aufarbeitung der Schicksale der von niedersächsischen Berufsverboten betroffenen Personen und der Möglichkeiten ihrer politischen und gesellschaftlichen Rehabilitierung“ eingerichtet haben.

Ja, wir müssen unsere Justiz vor extremistischen und verfassungsfeindlichen Kräften schützen. Dies darf aber nicht dazu führen, dass wir zu einer umfassenden Gesinnungsprüfung kommen, denn unsere Gesellschaft kann kein Interesse an einer unkritischen Richterschaft haben. Eine Regelabfrage kann letztlich kontraproduktiv wirken, indem sie die Justiz unter einen Generalverdacht stellt und so das Vertrauen in die Justiz insgesamt schwächt.“