Es gilt das gesprochene Wort
Top 39 des Juniplenums
Ersatzfreiheitsstrafe ist kontraproduktiv und teuer – Landesspielräume konsequenter zur Reduzierung nutzen
Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Drs. 18/11402
Anrede,
Die Debatte ist nicht neu, aber wichtig. Jan Böhmermann hat Ende letzten Jahres die Ersatzfreiheitsstrafe in seiner Sendung zum Thema gemacht und dadurch eine breitee mediale Berichterstattung angeregt. So hat etwa die Zeit Anfang des Jahres getitelt: „Draußen bleiben ist für alle besser“. In der Tat ist der gesellschaftlich Nutzen der Ersatzfreiheitsstrafe sehr umstritten.
Unser Strafrecht kennt die Freiheitsstrafe, die unter bestimmten Voraussetzungen zur Bewährung ausgesetzt werden kann und die Geldstrafe. Die Geldstrafe kommt bei leichteren Delikten zur Anwendung. Kann man die Geldstrafe nicht bezahlen, muss man die Strafe absitzen. Der Jurist spricht dann von Ersatzfreiheitsstrafe. Obgleich das Gericht lediglich eine Geldstrafe ausgeurteilt hat, muss der Betroffene in dieser Konstellation eine Freiheitstrafe antreten, also eine Strafe, die eigentlich für schwerere Straftaten vorgesehen ist. Dies widerspricht der Systematik und entspricht letztlich auch nicht dem, was ausgeurteilt wurde. Auf der anderen Seite würde eine Geldstrafe die nicht bezahlt wird ohne die Ersatzfreiheitsstrafe ins Leere laufen. Dies ist aus präventiven Gründen problematisch. In diesem Dilemma befinden wir uns.
Durch die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe kommt es oftmals zu Haftzeiten von weniger als 90 Tagen, die für den Verurteilten und seine Familie vielfach verheerende soziale und wirtschaftliche Auswirkungen haben. So besteht die große Gefahr, dass der Verurteilte seinen Arbeitsplatz verliert und damit die wirtschaftliche Grundlage für sich und seine Familie. Der Verlust der Wohnung droht. Armutsgefährdung und sozialer Abstieg können die Folgen sein, die vor allem die Kinder der Verurteilten treffen und sie in ihrer weiteren Entwicklung beeinträchtigen können. Die Ursachen für die Nichtzahlung sind vielfältig, liegen aber oft in dem unzureichend erlernte Umgang mit Geld und einer generellen Unerfahrenheit in finanziellen Angelegenheiten begründet und auch darin, dass die Geldstrafe angesichts der Vermögensverhältnisse schlichtweg nicht aufgebracht werden kann.
Deshalb sind sozial Benachteiligte deutlich häufiger von der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe betroffen. Ihnen fällt die Zahlung der Geldstrafe im Vergleich zu finanziell besser gestellten Tätern schwerer. Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Festlegung der Tagessatzhöhe reicht in vielen Fällen nicht aus.
Weiter verursacht die Vollstreckung der regelmäßig kurzen Ersatzfreiheitsstrafen auch hohe Kosten im Strafvollzug und führt zu einer Verknappung der zur Verfügung stehenden Haftplätze. Zudem sind aufgrund der kurzer Haftdauer Resozialisierungs- oder Bildungsmaßnahmen bzw. Angebote kaum möglich bzw. kaum wirksam.
Der Nutzen der Ersatzfreiheitstrafe für die Gesellschaft ist auch angesichts der erheblichen Folgen für die Betroffenen umstritten. Deshalb braucht es Instrumente zur Haftvermeidung.
In Niedersachsen haben wir drei Instrumente zur Haftvermeidung. Im Jahr 2021 konnten dadurch immerhin 47 000 Hafttage vermieden werden.
Wir haben die Geldverwaltung, die in Niedersachsen von den Anlaufstellen der Straffälligenhilfe angeboten wird. Die Anlaufstellen handeln eine Ratenzahlungsvereinbarung zwischen Staatsanwaltschaft und Betroffenem aus, sorgen über Abtretungserklärungen dafür, dass diese Vereinbarung eingehalten wird. Die Anlaufstellen sind zudem in der Lage, andere Angebote – wie Schuldnerberatung und dergleichen – anzukoppeln, und so die Betroffenen zu stabilisieren.
Es gibt aber nicht nur die Straffälligenhilfe, die wir in diesem Jahr im Doppelhaushalt mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet haben, sondern es gibt auch das Programm „Schwitzen statt Sitzen“. Dabei kann die Freiheitsstrafe durch soziale Arbeit abgeleistet werden. Diesbezüglich wird debattiert, ob der Schlüssel „ein Tag Haft = ein Tag Arbeit“ der richtige ist. Dies müssen wir uns im Ausschuss sicherlich noch einmal genauer ansehen. Wir haben große Sympathie dafür, an dieser Stelle über Verbesserungen nachzudenken.
Ferner gibt es in Niedersachsen das neue Angebot der Einbindung der Gerichtshilfen des Ambulanten Justizsozialdienstes. Das ist eine interessante Bereicherung unseres Instrumentenkatalogs, weil hier Expertinnen und Experten aus dem Justizsozialdienst an die Betroffenen herantreten und Angebote machen. Dies neue Angebot ist aufsuchende Sozialarbeit und sicherlich eine gute Ergänzung zu den Angeboten der Straffälligenhilfe; denn es ist wichtig, dass wir die Betroffenen mit unseren Angeboten erreichen.
Diese drei Instrumente, die wir in Niedersachsen einsetzen, sind gute Instrumente. Sie zu erweitern und sich auch damit zu beschäftigen, was die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, ausgehend von den Beschlüssen der Justizministerkonferenz 2019, zur Vermeidung von Haft erarbeitet hat, halte ich ausdrücklich für richtig.
Deswegen bin ich dankbar für den Antrag der Grünen. Dessen Intention und viele darin geforderte Maßnahmen können wir durchaus unterstützen. Das müssen wir im Ausschuss im Einzelnen besprechen.
Ich will für die SPD einen Punkt ergänzen. Wir haben uns in den letzten Monaten ebenfalls intensiver mit der Ersatzfreiheitsstrafe beschäftigt und einen zusätzlichen Vorschlag erarbeitet. Ich habe vorhin schon von der Bewährungsstrafe im Zusammenhang mit der Freiheitsstrafe gesprochen. Uns geht es um die Frage, ob man nicht auch für die Ersatzfreiheitsstrafe eine Bewährung anordnen und diese Bewährung dann daran koppeln kann, dass bestimmte Hilfsangebote in Anspruch genommen werden, die die Betroffenen sozial stabilisieren.
Ich denke, dass wir auf der Grundlage des vorliegenden Antrages eine spannende Debatte im Ausschuss haben werden. Darauf freue ich mich.
Vielen Dank.